Internationaler Aktionstag Frauengesundheit 2020: COVID-19 – Medizinische Versorgung und Impfstoff für alle

Internationaler Aktionstag Frauengesundheit 2020: COVID-19 – Medizinische Versorgung und Impfstoff für alle

Bildnachweis: May 28th, International Day of Action for Women’s Health is being coordinated by the Women’s Global Network for Reproductive Rights (WGNRR), Lizenz: Public domain

Eine Bestandsaufnahme anlässlich des Weltfrauengesundheitstags
von Juliane Beck und Gudrun Kemper für den Arbeitskreis Frauengesundheit e.V.

Mit der Pandemie durch das Coronavirus Sars-CoV-2 sind erhebliche neue Belastungen und Schwierigkeiten im Leben von Frauen in Deutschland alltägliche Realität geworden. In den Frauengesundheitsorganisationen sind wir von den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie mit all ihren Facetten besonders betroffen. Der Anstieg bei häuslicher Gewalt ist offensichtlich, so verzeichnet das bundesweite „Hilfetelefon gegen Gewalt gegen Frauen“ 20 Prozent mehr Anrufe[1], in anderen Ländern sind die Einsätze gegen häusliche Gewalt noch deutlicher angestiegen. Dennoch: Frauen halten in vielen systemrelevanten Bereichen die Gesellschaft am Funktionieren. Mütter und Väter haben große Sorgen um Gesundheit, Betreuung und Förderung ihrer Kinder. Weder Schule noch Kita können ihre Dienste aktuell sicherstellen, und es trifft Kinder aus ressourcenarmen Familien am stärksten. Hunger könnte in vielen Ländern, auch im Zusammenhang mit Sars-CoV-2 und den ökonomischen Folgen, eine noch größere Gefahr werden.[2] Wir wissen, dieser betrifft Frauen und ihre Kinder besonders hart. Die Frage weltweiter Verteilung von Gütern und Zugang zu Gesundheitsleistungen stellt sich bei COVID-19 in besonderer Dringlichkeit.

Was passiert in Sachen „Corona-Bekämpfung“?

Wir wissen gegenwärtig nicht, wann und wie ein Leben „wie zuvor“ wieder möglich sein wird. Wir wissen nicht, ob eine baldige Impfstoffherstellung und die Verfügbarkeit einer Impfung die erwünschten Normalisierungen unserer Gesellschaft wirklich ermöglichen wird.

Ein globaler (Macht-)Kampf um den Impfstoff gegen das Virus ist entbrannt. In einen Geberfond der EU sollen 7,4 Milliarden Euro aus öffentlichen und privaten Quellen fließen.[3] Einige klinische Studien haben bereits begonnen, und zwar auch solche, die öffentliche Institutionen mitfinanziert haben.

Auch die Bundesregierung und Bundeskanzlerin Angela Merkel haben bereits gefordert, dass ein Impfstoff allen Menschen zugutekommen muss: Im Podcast vor der Geberkonferenz “Coronavirus Global Response” am 4. Mai setzte Merkel bei der Bekämpfung der Pandemie auf enge Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation.[4]

Ein Bündnis von Organisationen, darunter z.B. das Aktionsbündnis gegen AIDS, Ärzte der Welt e.V., Ärzte ohne Grenzen e.V. / Médecins Sans Frontières, Brot für die Welt, die BUKO Pharma-Kampagne, die Deutsche Aidshilfe, Difäm – Deutsches Institut für Ärztliche Mission e.V., diverse Niederlassungen des Medibüros, medico international oder Peoples Health Movement Deutschland einschließlich des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte (vdää)  und des Vereins demokratischer Pharmazeutinnnen und Pharmazeuten (VdPP) wandte sich bereits am 30. April 2020 mit dem Offenen Brief Coronavirus-Pandemie: Globale Solidarität dringend erforderlich![5] direkt an Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des IQWiG und der Cochrane Collaboration haben am 14.05. an die Europäische Arzneimittel-Agentur (European Medicines Agency, EMA) appelliert, alle klinischen Studienberichte zu allen COVID-19-Arzneimitteln und -Impfstoffen unmittelbar mit dem Tag der Marktzulassung zu veröffentlichen. Die internationale Forschungsgemeinschaft habe ihre Kräfte gebündelt, um Medikamente und Impfstoffe zur Bekämpfung der Pandemie zu identifizieren oder zu entwickeln, zu testen und zu evaluieren, heißt es in dem Offenen Brief an EMA-Direktor Prof. Guido Rasi: „Um diese Präparate weiter zu bewerten und die Entwicklung weiterer Wirkstoffe zu beschleunigen, ist die schnelle und vollständige öffentliche Verfügbarkeit der den Regulierungsbehörden vorgelegten Informationen von größter Bedeutung.“ Die EMA sei in den vergangenen Jahren ein Pionier der Datentransparenz unter den Zulassungsbehörden gewesen. Genau diese Transparenz sei auch jetzt gefordert.[6]

Die Weltgesundheitsversammlung (WHA) der World Health Organization (WHO) hat am 19.05.2020 eine Resolution zu Covid-19 angenommen.[7] Darin ruft sie die Weltgemeinschaft zu gerechtem und fairen Zugang zu Medikamenten, Impfstoffen und Diagnostika auf. Außenminister Heiko Maas sieht dies als Zeichen einer internationalen Geschlossenheit im Kampf gegen das Corona-Virus.[8] Maas betont weiter, dass ein Virus vor nationalen Grenzen nicht Halt macht und setzt auf die zentrale Rolle der WHO im internationalen Gesundheitsmanagement. Er weist darauf hin, dass in einem nächsten Schritt eine unabhängige Evaluierung der globalen Reaktion auf Covid-19 durch die WHO geplant sei. Die WHO-Resolution gehe auf eine Initiative der Europäischen Union zurück und werde jetzt von der gesamten WHA getragen.

Alle bisher getroffenen Vereinbarungen sind nicht bindend und beruhen auf Freiwilligkeit. Es bleibt entsprechend nur die Hoffnung, dass der Aufruf zur Beschleunigung mit der Bitte der WHO und ihrer privaten Partner[9] für eine globale Zusammenarbeit an Weltgemeinschaft und Politik erfolgreich sein wird. Einzelne Länder preschen dennoch mit nationalen Egoismen vor und wollen den eigenen Bewohner*innen Vorrang beim Zugang zum Impfstoff sichern. Es wird gestritten um die Patentierung und das geistige Eigentum für einen Impfstoff.

Aufruf für einen „Impfstoff für alle“

Politiker*innen und Forschergruppen haben sich in einem Offenen Brief vom 14. Mai 2020 für einen „Impfstoff für alle“ („The Poeple‘s Vaccine“, verschiedene Petitionen laufen bereits) ausgesprochen.

Sie fordern darin den Zusammenschluss von Regierungen und ihren Partnern auf internationaler Ebene. Im Aufruf für diesen Impfstoff für alle heißt es: „Wir können es uns nicht leisten, dass Monopole, grobe Konkurrenz und kurzsichtiger Nationalismus im Weg stehen.“ Es seien überdies die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, etwa aus dem Umgang mit HIV, einer bis heute aktiven Pandemie, oder aus dem Umgang mit Ebola. Der Aufruf verweist dabei insbesondere auf die Verdienste der Gesundheitsbewegungen und Gesundheitsaktivist*innen und Patientenvertrete*innen, die sich für bezahlbare Medikamente eingesetzt haben. Von deutscher Seite wurde der Aufruf für den „Impfstoff für alle“ von Horst Köhler (Bundespräsident 2004-2010) unterzeichnet.

Gefordert wird ein sicherer und wirksamer Impfstoff, der in großem Maßstab hergestellt wird und in allen Ländern weltweit gleichermaßen kostenlos angeboten werden kann. Auch Diagnostik und Behandlung soll allen Menschen weltweit, und nicht nur reichen Ländern und reichen Menschen, die es sich leisten können, zugänglich gemacht werden.

Die Weltgesundheitsorganisation solle zu diesem Zweck ein globales Abkommen mit Forscher*innen und Herstellerfirmen schließen, das den Zugang zum Impfstoff sichert: bezahlbar, rasch und universell. In der Tat müssen die Kosten für den Impfstoff auch für die Kostenträger bezahlbar sein. Die Entwicklungskosten sollen deswegen aus einem Fonds der WHO gefördert und Anreize für neue Forschung gesetzt werden.

Angesichts der Dringlichkeit werden Forscher*innen explizit zum Verzicht auf ihr geistiges Eigentum im Zusammenhang der Corona-Forschung aufgefordert. Die Gesundheitsminister der Länder sollen die bei Gründung der WHO formulierten Verpflichtungen von Gesundheit für alle nun erneuern, damit Gesundheitsstandards als Grundrecht eines jeden Menschen prinzipiell gewährleistet bleiben.10]

Folgende Forderungen werden im Aufruf für den „Impfstoff für alle“ formuliert:

  1. Gewährleistung eines obligatorischen weltweiten Austausches aller COVID-19-bezogenen Kenntnisse, Daten und Technologien mit Pool von COVID-19-Lizenzen, die allen Ländern frei zur Verfügung stehen. Die einzelnen Länder sollten befugt und befähigt werden, die in der WTO-Erklärung von Doha zum TRIPS-Übereinkommen und zur öffentlichen Gesundheit vereinbarten Schutzmaßnahmen und Flexibilitäten in vollem Umfang zu nutzen, um den Zugang zu Arzneimitteln für alle sicherzustellen.
  2. Ausarbeitung eines globalen und gerechten Plans für eine schnelle Herstellung und Verteilung des Impfstoffs sowie aller COVID-19-Produkte und -Technologien, vollständig finanziert von den reichen Nationen zu transparenten Selbstkostenpreisen. Dringlicher Ausbau von Maßnahmen, die weltweit Kapazitäten schaffen, um Milliarden von Impfstoffdosen herzustellen, unter Einschluss der Finanzierung von Fortbildungen des für die Impfung erforderlichen Gesundheitspersonals.
  3. Garantie für alle Menschen, COVID-19-Impfstoffe, Diagnostika, Tests und Behandlungen überall kostenlos zur Verfügung zu stellen. An erster Stelle sollen die am stärksten gefährdeten Menschen, z.B. die im Gesundheits- und Bildungswesen Arbeitenden, die als „Frontarbeiter“ beschrieben werden, sowie Menschen in armen Ländern, die über die geringsten Fähigkeiten, Leben zu schützen, verfügen, mit dem Impfstoff versorgt werden.

Abschließendes

Der Aufruf schließt mit der Mahnung, niemanden zurückzulassen. Außerdem soll die WHO mit transparenter und demokratischer Führung, unter Einschluss unabhängiger Fachkompetenz zivilgesellschaftlicher Partner, die Rechenschaftspflicht in den für das Abkommen wesentlichen Inhalten übernehmen.  Die Unterzeichner des Abkommens erkennen zugleich die dringende Notwendigkeit an, öffentliche Gesundheitssysteme weltweit zu reformieren und zu stärken und alle Hindernisse zu beseitigen, damit Arm und Reich gleichermaßen Zugang zu bezahlbaren notwendigen Gesundheitsversorgung, den dafür erforderlichen Technologien und Medikamenten erhalten.

Nur ein Impfstoff für alle – basierend auf den Grundsätzen von Gleichheit und Solidarität – könne die Menschheit insgesamt schützen und unsere Gesellschaften wieder sicherer machen. Ein mutiges internationales Abkommen kann nicht warten.

Als Arbeitskreis Frauengesundheit e.V. unterstützen wir die Bemühungen unterschiedlicher Bündnisse und Aktionen, die sich für den gleichberechtigten Zugang zur bestmöglichen evidenzbasierten Versorgung aller Menschen mit medizinischer Versorgung, Medikamenten, Impfstoff und Diagnostika im Zusammenhang mit Covid-19 einsetzen. Wir bedauern den geringen Gestaltungsrahmen von WHO und WHA, denn wie in anderen gerade im Zusammenhang mit der Medikamentenherstellung bekannten Problemfeldern können freiwillige Vereinbarungen allein Gesundheit für alle nicht absichern. Diese Pandemie könnte zudem eine Chance werden, Gesundheit für alle weltweit, einschließlich ihrer sozialen und politischen Bedingungen, neu zu denken. Wir werden über den Fortgang berichten und insbesondere Frauengesundheitsinteressen aus unserer Arbeit zu den Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft transportieren.

Weiterlesen

UNAIDS – Offener Brief mit Liste der der Unterzeichner: The People’s Vaccine

Stellungnahme des EbM-Netzwerks zur Coronavirus-Impfverordnung vom 9.12.2020

Download

Weltfrauengesundheitstag 2020: COVID-19 – Medizinische Versorgung und Impfstoff für alle (pdf)

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Quellen: 

[1] Hecht, P. Schattenpandemie, taz v. 11.05.2020 https://taz.de/Corona-und-Anstieg-haeuslicher-Gewalt/!5681591/

[2] Böhm, A. et al., Die Zeit v. 22.05.2020 https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-05/coronavirus-afrika-niger-liberia-sudan-suedafrika-covid-19#niger-nur-eine-bedrohung-von-vielen

[3] Bubrowski, H. Forscherdrang und Machtkampf, FAZ, 19.05.2020

[4] Podcast mit Angela Merkel, https://www.youtube.com/watch?v=TP8JwBaFieE

[5] https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/sites/germany/files/2020-deutschland-offener-brief-an-bundeskanzlerin-merkel-globale-solidaritaet-dringend-erforderlich.pdf

[6] https://www.iqwig.de/de/presse/pressemitteilungen/2020/alle-klinischen-studiendaten-zu-covid-19-arzneimitteln-und-impfstoffen-sollten-mit-dem-tag-der-marktzulassung-veroeffentlicht-werden.13015.html

[7] https://apps.who.int/gb/ebwha/pdf_files/WHA73/A73_CONF1-en.pdf, die Resolution liegt bisher in deutscher Sprache nicht vor.

[8] https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/maas-wha/2342904

[9] Access to COVID-19 Tools Accelerator, https://www.who.int/who-documents-detail/access-to-covid-19-tools-(act)-accelerator

[10] s. http://www.euro.who.int/de/about-us/organization/who-worldwide

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