Wollen wir alles machen, was wir können? Stellungnahme des AKF zur Pränataldiagnostik (PND) und Präimplantationsdiagnostik (PID)

Wollen wir alles machen, was wir können? Stellungnahme des AKF zur Pränataldiagnostik (PND) und Präimplantationsdiagnostik (PID)

Die Stellungnahme des AKF zur Pränataldiagnostik und zur Präimplantationsdiagnostik basiert auf dem AKF-Seminar zur Fortpflanzungsmedizin im Juni 2001

Die zunehmenden Möglichkeiten der modernen Medizin, in natürliche Vorgänge einzugreifen, haben das Erleben von Schwangerschaft und Geburt drastisch verändert. Schwangerschaften lassen sich technisch ermöglichen, entstehendes und wachsendes menschliches Leben kann in allen Phasen beobachtet, getestet und verworfen werden. Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik nähren die irrige Vorstellung, dass gesunde Kinder “machbar” seien. Dabei ist nur ein Bruchteil (nämlich ca. zehn Prozent) der angeborenen Behinderungen genetisch bedingt.
Der AKF sieht die Gefahr, dass Grundwerte ethischer Verantwortung durch die Angebote der vorgeburtlichen Diagnostik in den Hintergrund gedrängt werden. Er fordert alle politisch Verantwortlichen auf, gesellschaftliche Bedingungen zu schaffen, die behinderten Menschen und ihren Angehörigen ein gleichberechtigtes Leben in Würde ermöglichen, statt – indem sie auf das hinweisen, was medizintechnisch machbar ist – den Wunsch nach Menschen mit bestimmten körperlichen Merkmalen zu nähren. Frauen bzw. Paare dürfen sich nicht gezwungen fühlen, Selektion zu betreiben. Vielmehr sollte es die Aufgabe der Gesellschaft sein, für alle Menschen ökonomische und soziale Bedingungen zu schaffen, die das Leben lebenswert erscheinen lassen.

Pränataldiagnostik

Die Betreuung von Schwangeren soll dem Schutz der Gesundheit von Mutter und Kind dienen. Doch durch die seit Jahren angewandten vorgeburtlichen Diagnosetechniken (u.a. Tripletest aus dem Blut, früher Ultraschall (Nackenfaltenmessung), Fruchtwasseruntersuchung) werden “Vorsorge” und “Früherkennung von Behinderung” vermischt. Die Untersuchungsergebnisse der Pränataldiagnostik zwingen Entscheidungen herbei und fordern auf zu handeln. Auf diese Weise wird die Schwangerschaft, die Zeit der “guten Hoffnung”, durchzogen von vielen Phasen der “bangen Erwartung”. Den Frauen wird nicht nur Verantwortung aufgelastet, sondern auch Schuld zugeschrieben. Wird tatsächlich ein Kind mit Behinderung geboren, wird der Umgang damit zu einem individuellen Problem: “So etwas muß es doch heute nicht mehr geben!”

Auch die betreuenden FrauenärztInnen und Hebammen sehen sich unter einem hohen Erwartungsdruck: “Hauptsache es ist gesund!”. Haben sie nicht auf die Möglichkeiten zur Diagnostik einer genetischen Behinderung hingewiesen bzw. Hinweise darauf übersehen, drohen ihnen juristische Konsequenzen.

Der AKF fordert eine klare Eingrenzung der Pränataldiagnostik und ein Überdenken der Schwangerschaftsvorsorge:

  • Hebammen und/oder FrauenärztInnen sollten Frauen bzw. Paare gleichberechtigt und in individueller Zusammenarbeit so begleiten, dass die Schwangeren in ihrer Selbstkompetenz gestärkt werden. Dabei sollte über die Möglichkeiten der PND kritisch informiert werden.
  • Die Pränataldiagnostik darf nicht länger ein Routine-Screening sein, dem sich die Schwangere aktiv entziehen muss. Sie sollte deutlich getrennt von der Schwangerschafts-Vorsorge angeboten werden – und zwar möglichst zeitlich, personell und räumlich getrennt.
  • Alle Untersuchungen, die die Frau bzw. das Paar vor die Entscheidung stellen könnten, entweder die Schwangerschaft abzubrechen oder die Geburt eines behinderten Kindes zu akzeptieren, müssen vorher in einem ausführlichen Beratungsgespräch erläutert werden.
  • Als Hilfe für die Entscheidungsfindung nach einem auffälligen Untersuchungsergebnis sind der Frau bzw. dem Paar ausführliche Beratung und psychosoziale Betreuung anzubieten, damit eine informierte Entscheidung getroffen werden kann.
  • Die Richtlinien der Mutterschafts-Vorsorge müssen in enger Kooperation von beiden Berufsgruppen auf den Grundlagen der evidence-based-medicine überarbeitet werden.

Präimplantationsdiagnostik

Bei der Diskussion um die Einführung der Präimplantationsdiagnostik (PID) stoßen das individuelle Recht jeder Frau auf Selbstbestimmung und die ethischen und moralischen Grundwerte unserer Gesellschaft aufeinander. Der AKF sieht die Gefahr, dass den Frauen unter dem Begriff “Selbstbestimmung” die Verantwortung für die Gestaltung einer zukünftigen Gesellschaft – und zwar möglichst einer ohne Menschen mit angeborener Behinderung – auferlegt wird.

Der AKF lehnt die Einführung der Präimplantationsdiagnostik (PID) ab:

  • Vorgeburtliche Diagnosetechniken, die die Möglichkeit zur positiven und negativen Selektion bieten, werden dazu führen, dass “gewünschtes und lebenswertes” Leben von “unerwünschtem und behindertem” Leben getrennt wird. Die damit langfristig verbundene Gefahr der Änderung unserer Grundwerte im Sinne der Eugenik geschieht dabei nicht auf dem Weg institutioneller Richtlinien, sondern über die individuelle Entscheidung von Paaren.
  • Die PID setzt eine Befruchtung außerhalb des Körpers der Frau (In-vitro-Fertilisation, IVF) voraus. Diese ist mit erheblichen körperlichen und seelischen Belastungen verbunden. Die Begrenzung der PID auf wenige Fälle von schweren Erbkrankheiten ist unrealistisch. Da sich die Erfolgsrate der IVF durch PID steigern lässt, ist anzunehmen, dass die PID auch ohne sonstige Indikation dort eingesetzt werden wird. Ebenfalls wird die PID schon vorgeschlagen für Frauen, die mehrere Fehlgeburten hatten.
  • Die PID hat eine “Türöffnerfunktion” für die Forschung an Embryonen, embryonalen Stammzellen und für Eingriffe in die Keimbahn. Derartiges ist in Deutschland nur durchzuführen, wenn das Embryonenschutzgesetz gelockert wird. Die Folge wäre, dass das Tabu, menschliche Embryonen zu verbrauchen, fällt und dass sie zum Rohstoff für Forschungszwecke würden. Der AKF tritt stattdessen dafür ein, dass der Schwerpunkt der Stammzellforschung auf Techniken liegen muß, die von adulten Zellen ausgehen.

Bremen, Januar 2002

Mehr zum Thema

Präimplantationsdiagnostik PID: Das AKF-Faktenpapier (2011)
Gabriele Wulfmeyer, Ebba Kirchner-Asbrock: Notwendiges Wissen – Mehr Not als Wissen (Beitrag zur 8. AKF-Jahrestagung 2001)

 

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